Relaxation/Retardation und Kriechen

ein kleiner Beitrag von einem Werkstoffwissenschaftler
 
mathiasc
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Relaxation/Retardation und Kriechen

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Gepostet: 25.03.2013 - 23:16 Uhr  ·  #1
Hallo,

ich hab gerade schon einen Threat gestartet, da ich selbst noch nicht so viel Erfahrung habe mit den Windanlagen.

Wovon ich aber Ahnung habe sind Werkstoffe. Ich schreib hier ein bisschen was dazu, ich versuche auch für die jüngeren User des Forums verständlich zu sein. In diesem Threat wurde das kurz letzte Woche angesprochen, darum wollte ich es nochmal aufnehmen:
Kleinere Diskussion über Relaxation und Kriechen


Ich hoffe ihr seit mir nicht böse, wenn ich euch etwas verbessere, nur möchte ich der Community etwas zurück geben, ich würde ja immerhin auch eure Erfahrung nutzen. Ich hab die Suchfunktion schon mal bedient, kam aber leider kein Threat dazu, daher schreib ich das mal hier zu den Grundlagen dazu.


Allgemein ersteinmal:

Kriechen:
Bei Kriechen handelt es sich um eine Veränderung im Material durch starke Einwirkung von Temperatur und extremen Kräften. Meistens muss man diesen Effekt im Turbinenbau beachten, da hier hohe Verbrennungstemperaruten und hohe Fliehkräfte zustande kommen.
Kriechen findet vor allem bei Metallen und Keramiken statt, da hier überwiegen Metallbindungen und Kovalente Bindungen aufkommen.
Vorstellen darf man sich das so, dass die Werkstoffe wie aus leider kleinen Würfeln aufgebaut sind und an den Ecken die Atome sitzen, im Fachausdruck nennt man das kubische Kristallstruktur. (Das ganze ist etwas komplexer, daher hier stark vereinfacht).
Wenn nun hohe Temperaturen und starke Kräfte aufkommen, wird der Würfel in Richtung der Kraft länger gezogen. Das Material verformt sich also.
Die Kraft kommt durch die Fliehkraft zustande, ähnlich warum man im Kettenkarusell nach außen gezogen wird. In einer Turbine wäre das fatal, da hier ein kleiner Spalt nur zwischen Blätter und Außenwand sein darf, und wenn die Blätter an die Außenwand kommen, explodiert die Turbine.

Relaxion/Retardation
Hiebei handelt es sich um Effekte bei Kunststoffen. Relaxion ist wenn man einen Körper dehnt, in konstant so lässt und versucht zu Messen welche Kraft auf den Körper herrscht. man darf sich das so vorstellen, man dehnt ihn und messt die Kraft mit einem starken Kraftmesser (Eine Feder, deren Dehnung die Kraft an giebt die vorherrscht) Beim Reatardationsversuch setzt man den Körper unter eine konstante Kraft und sieht sich an wie der Körper sich dehnt. Kunststoffe sind anders aufgebaut als Keramiken und Metalle, hierbei darf man sich vorstellen, dass es sich um lange C-Ketten handelt die Wassertoffatome an ihren Abzweigungen hat. Zusammengehalten werden die vielen Ketten dadurch, dass sich die Wasserstoffatome aneinander kleben, nennt man Wasserstoffbrückenbindungen oder van der Walskraft.

Nun allgemein zur Retardation:
Diese ist hier für uns interessant, da eine konstante (annähernd) Kraft auf die Flügel wirkt, hauptsächlich eine Fliehkraft von der Nabe in Richtung Flügelspitzen. Betrachtet müssen hier die Masse und die Geschwindigkeit, welche beide sich mit größer werdendem Radius verändern, also von der Mitte nach außen wird der Radius größer. So erhöht sich die Geschwindigkeit, da konstante Winkelgeschwindigkeit herrscht, und es gilt
v= r*omega.
omega ist hier die Winkelgeschwindigkeit, v die Geschwindigkeit und r der Radius, der sich verändert. Die Masse ist Ausschlag geben für die Fliehkraft, da diese sich ändert im Verlauf des Bauteils, Schwerpunkt des Flügels eher näher zur Nabe, da außen klein und innen noch den Anlauf für die niedrigen Geschwindigkeiten wenn ichs richtig verstanden habe. Also die Fliehkraft aufgrund des kleiner werdenden Flügelquerschnitts abnimmt. Ich betrachte das so, als würde ich von der Mitte nach außen gehen und jedes Atom einzeln ankucken.

Das ganze lässt darauf schließen, dass ich ein unterschiedliches Verhalten beim Retardieren habe. Dies gilt für Kunststoffe. Bei Metallen/Keramiken ist das Kriechen aufgrund der zu niedrigen Temperatur nicht zu beachten.

Folglich betrachten wir weiter die Kunststoffe:
Was ich oben geschrieben habe gilt vor allem für Thermoplaste, da diese nur durch die verketteten H-Atome zusammenhängen. Es gibt aber noch weitere Kunststoffe wie Duroplaste (Epoxidharz) und Elastomere, also Gummi. Letzere sind wieder uninteressant, da das ganze stabil sein muss.
Bei den Duroplasten ist das interessante, dass diese nicht nur durch die Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten werden, sondern sich auch noch zusätzlich verknüpfen durch andere Abzweigungen, darum kann man diese auch nicht recyclen. Das sorgt dafür, dass das Harz sehr hart wird und die Retardation hier einen größeren Widerstand hat. Dazu kommt das man Harze nicht einfach so verwendet sondern hierfür ein Gewebe mit einbaut. Oft sind das Glasfasermatten oder Kohlefasermatten. Die Auslegung für einen Flügel ist keine kleine Kunst für sich, da hier ja viele unterschiedliche Kräfte wirken, einerseits durch den Wind, anderseits durch die Fliehkraft. Wenn mans aber gut machen möchte, legt man die Fasern so aus, dass sie nur in Richtung der Kräfte sich liegen, da sie Quer zur Faser nicht so stabil sind wie in Faserrichtung. Jenach dem wie groß die Kraft kommen mehr oder weniger Fasern in diese Richtung.


Im unteren Bereich wurde kurz darauf eingegangen, dass man die Flügel darum mit selbstsichernden Muttern und verstärkten Haltern sichern sollte.
Ich denke, das das so nichts helfen wird. Kriechen kommt bei vielen Materialien vor, aber wird bei unseren/eureren Projekten eher uninteressant sein. Ich kanns natürlich nicht rechnerisch belegen, das wäre auch zu Aufwendig. Aber welche Effekte ihr beachten solltet ist folgendes:

Die Fliehkräfte sorgen dafür, dass eine ordentliche Kraft auf die Schrauben wirkt, welche Nabe und Flügel verbinden, also lieber eine mehr rein als eine zu wenig. Dazu kommt, dass ihr die Flügel gut auswuchten könnt, aber wohl unwuchten nie ganz Besiegen könnt. Folglich schwingt eure Baugruppe immer leicht. Schwingende Belastung hat ganz andere Folgen als Kriechen, da hier Risse entstehen und eure Flügel um die Ohren fliegen, fand sehr interessant die Bilder zu den Abgerissenen Aluflügeln, fast schon ein Lehrbuchbruch. Durch die schwingende Belastung solltet ihr vor allem alles mit selbstsichernden Muttern oder Loctite verkleben, so gehen die Schrauben nicht auf und eure Flügel verabschieden sich nicht.


Fazit: Gegen Kriechen kann man nichts tun, außer die Fliehkraft zu verringern, also kleiner Radius oder kleinere Gewschindigkeiten oder kleinere Masse, oder aber bessere Materialien wie Kohlefaserflügel. Für eure Projekte würde ich pauschal sagen, solltet ihr euch über Retardation/Kriechen keine Sorgen machen. Schwingende Beanspruchung und die Kräfte die durch Wind und Fliehkraft wirken sind euer schlimmster Feind. Dazu kommt noch die UV-Beständigkeit von Kunststoffen, die lassen die Kunststoffe schneller altern und eure Blätter irgendwann brechen.



Da mein Firefox gerade etwas rummäckelt und die Sprache in English immer wieder umspringt kann ich leider nicht alle Rechtschreibfehler ausbessern, als Legastheniker nicht immer von Vorteil. Ich hoffe dennoch das ich euch etwas helfen konnte.

Viele Grüße
Mathias

P.S. Wenn ihr Fragen zu dem Thema habt, kann ich euch sicherlich noch das ein oder andere dazu beantworten.
Carl
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Re: Relaxation/Retardation und Kriechen

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Gepostet: 27.03.2013 - 07:34 Uhr  ·  #2
Hallo Matthias, super Hilfe, Deine fachlichen Tipps toll gut, sausuper! Gruß, Carl
Windfried
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Konkretisierung

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Gepostet: 29.03.2013 - 18:18 Uhr  ·  #3
Dass der Artikel vom Mathias viel zu lang ist und wie er in Zukunft lange Statements unter bringen kann - Stichwort Fullfaper als PDF - hatte ich ihm als PN geschrieben.

Wenn man bei WIKIpedia nach schaut (erscheint hier lohnend!) ergibt sich Folgendes:

1. Retardation ist bei Werkstoffen Kriechen
Eigentlich: (lat. retardare ‚verzögern‘) Was verzögert wird? Vielleicht wird die Langsamkeit des Materialflusses beschrieben.

2. Bei Kriechen bei Kunststoffen ist sehr weit oben der Link zu Relaxation zu finden, was zu dt. nichts anderes als Entspannung heißt. Relaxen kennt jeder.
Ergo: Der Verschraubungsdruck lässt nach (durch Kriechen).

Rein praktisch erscheint es also unsicher, eine Flügelwurzel nur durch Einspannen am Ort zu halten (macht ja auch keiner), sondern die Fixierung durch Bolzen ausreichender Dicke, evtl. durch zusätzliche Rohrhülsen unterstützt, ist unabdingbar.
Durch Lochleibung (Druckbelastung auf Bohrungswand) ist zwar da auch ein Kriechen möglich. Allerdings wird das durch Verstärkungsfasern, die dort in Richtung der Kräfte (Fliehkräfte) wirken, behindert. Wenn Löcher gebohrt worden sind, dann Fasern 100% bis zum Loch - bestens.
Wenn Löcher eingeformt, dann tunlichst darauf achten, dass Fasern bis Loch. Nachkalibrierung durch Bohren (mit 3-Schneider, Reibahle) empfohlen.

Hier noch von Arminius Teile aus ner PN an mich zur Praxis. Gegen ne Veröffentlichung wird er sicher nichts haben. Danke dafür.

Mein exexex-Chef, der mal eine "Faserbude" führte, meinte, man solle unter 20 N/mm^2 bleiben,
dann wäre es kein Problem. ( Der ging immer mit Try and Error an die Sachen ran.
Das war für Epoxy/Polyester. da wird man auch keine oder nur wenig Daten finden. )
Für voll angezogene Schrauben bedeutet das ~ der 6-Fache Scheibendurchmesser.
habe ich ausgerechnet. So was gibt's leider nicht im Handel.
Die grössten sind irgendwie Holzverbinderscheiben, die Für M10 aussen 34mm haben.

Ein thermoplast verträgt ja normalerweise kleinere Kräfte- da sollte das dann auch reichen
Da sind's dann vioelleicht 15 N/mm^2, aber mehr macht das Material aussenrum sowieso nicht.
Denke ich mir - so als Ansatz.


Gültig vermutlich, wenn quer zur Faserversteifung gepresst wird, also aufs Harz/Plastik ansich.

Dazu lediglich meine Bemerkung, dass uns keiner zwingt, ne Flügelverschraubung auf Plastik oder Holz voll aus zu schöpfen.
Wenn der Studiosus noch was Prägnantes zu ergänzen hat, gerne.

Gruß, Windfried
WindUlla
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Re: Relaxation/Retardation und Kriechen

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Gepostet: 11.04.2013 - 02:27 Uhr  ·  #4
Hallo, ich muss dir auch echt danken, ist eine super Hilfe, die du da aufgestellt hast. Von vielem das du niedergeschrieben hast, hatte ich fast komplett keine Ahnung. Liebe Grüße
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